Zunächst ein Morgen wie schon 23 davor, doch halt – heute steht etwas ganz Besonderes auf dem Programm: mein Tandemsprung in Punta Gorda!
Ich hüpfe aus dem Bett und stelle fest, irgendwie hüpfe ich etwas behäbiger als noch vor drei Wochen. Sollte ich etwa - dieser Gedanke ist zu grausam um ihn zu Ende zu denken. Aber im Badspiegel so von der Seite sehe ich voluminöser aus (Wampenalarm!), aber kann doch nicht, hab’ doch nur geringfügig mehr geschlemmt als zu Hause.
Im Bad steht eine Waage (eine sehr schöne Waage, sogar mit Angabe in kg), da hatte ich mich zum Urlaubsbeginn mal ganz übermütig drauf gestellt und schon genervt feststellen müssen, dass ich hier in Florida knapp ein Kilo mehr drauf hab (der lange Flug bläht auf – oder so was).
Tja, todesmutig wieder drauf auf das Ding und – tatsächlich, noch knapp 2 Kilo drauf! Wie kann das denn? Pizza und Eis macht doch nicht dick? Oder vielleicht doch, jedenfalls in Kombination mit rumliegen und rumsitzen. Tja, da wird dann mein Tandemspringer heute noch ein bisschen mehr Last am „Bein“ haben, wir fallen bestimmt schneller runter…
Der Appetit auf Baconfrühstück war mir somit schlagartig vergangen, ein Kaffee tut’s für’s erste auch, aber meinen Göttergatten versorge ich fürsorglich mit einer guten Stulle.
Noch mal durchgelesen was das Outfit angeht und Jeans und Shaper eingepackt. Foto-/Filmequipment, einen Müsliriegel (falls der kleine Hunger kommt).
Frühzeitig mit Anfahrtsbeschreibung ins Auto und los. Die Navi schweigt sich aus (tut sie bei mir gerne, wenn Jürgen sie programmiert ist sie in der Regel sehr gesprächig, woran auch immer das liegen mag) und gibt uns die „Überland-Route“ an (im Internet wäre es die I 75 gewesen). Vom Timing her kommt es gut hin, also folge ich der stummen Navi.
Nach ein paar Kilometern möchte mein technisch versierter Mann aber wissen, warum die Navi so beharrlich schweigt. Auf stumm geschaltet ist sie nicht, er probiert eine neue Stimmauswahl. Aber sie schweigt stur weiter. Ich habe den Tipp des Laien parat: „Mach sie doch einmal ganz aus, so mit Stecker ziehen und allem drum und dran, vielleicht hilft das.“ Und Jürgen befolgt tatsächlich diesen unbedarften Rat und schaltet sie aus. Und wieder ein. Und plötzlich hören wir ein kurze und barsche weibliche Stimme (sehr unfreundlich) mit dem Hinweis „Fahren sie 34 Kilometer“, na bitte, geht doch. Aber dieses Naviweib ist mir extrem unsympathisch. Sie hält aber lange Zeit die Klappe, weil es ja eh nur geradeaus geht, was soll sie da auch sagen. Dann biegen wir versehentlich falsch ab (die Straßenführung macht einen Rechtsknick, ich aber biege in der Kurve an einer Kreuzung rechts ab) und schon wird die unfreundliche Stimme ganz hektisch: „Neuberechnung im Gang!“ – ist ja schon gut! Und dann will sie mich im Rechtskarree lotsen, damit ich zurück auf die Strecke komme, dabei ist es mit einem Links-U-Turn (auch erlaubt an der Stelle) schon getan. Nächste rechts und wir sind wieder richtig, die Dame beruhigt sich und verstummt.
Noch 2 x rechts abbiegen und es geht über einen Feldweg äußerst hubbelig in die Wallachei, aber das sieht gut aus, denn ich sehe Flugzeuge auf den Wiesen und Feldern.
Ein paar Gebäude - man sagt glaube ich auch Hangar dazu – und überall Flugzeuge, bzw. Flugzeugfragmente. Hier sammelt jemand wohl aus lauter Leidenschaft Flugzeuge, denn einige davon sehen überhaupt nicht mehr „fliegtüchtig“ aus. Wie parken auf einer Wiese und werden beim Aussteigen sogleich von liebestollen Lovebugs überfallen und schamlos als Haltestelle ausgenutzt.
Auf dem Fluggelände des Skydive Southwest Florida hantieren schon einige Menschen fleißig rum, eine Dame spritzt ein Flugzeug ab, ein junger Mann legt sehr sorgsam in der Halle den Fallschirm zunächst aus, um ihn dann ebenso sorgsam wieder zusammen zu legen. Die Dame begrüßt uns und führt uns zu einem Büro in der Halle, ich frequentiere aber erstmal den Restroom. Ich habe eine merkwürdige Eingebung (und ich muss natürlich auch), ich habe die Seriosität des Unternehmens vom Zustand der Restrooms abhängig gemacht (ist bestimmt eine sehr eigenartige Einstellung, aber war eben so). Und ich habe Glück, der Toilettenbereich ist zwar nicht mehr der neueste, aber es ist sauber und gepflegt, inkl. vorrätigem Klopapier und einem frischen Handtuch am Waschbecken. Na gut, habe ich mir gedacht, das beruhigt mich dahin gehend, dass man sich hier höchstwahrscheinlich um alles auch entsprechend ordentlich kümmert, dann kann’s ja losgehen.
Zurück im Büro lerne ich Roy kennen, mit dem hatte ich vorher auch den Mailkontakt. Er stammt aus Norwegen (scheint hier viele Norweger zu geben, Inga – Yogalehrerin – stammt ja auch daher), die Dame die uns begrüßt hat ist Französin, der Pilot der kleinen Maschine die uns nach oben befördern wird ist auch Franzose, spricht aber exzellent deutsch. Somit gibt es schon mal keine Verständigungsschwierigkeiten, dafür bin ich echt dankbar.
Nun muss ich erstmal den Schriftkram erledigen, bestimmt 8 Seiten (echt jetzt), die ich teilweise auszufüllen habe und ungelogen 30 Mal meine Initialen drauf setzen. Wie schon bei dem Jetflug, man muss eben unterschreiben, dass man sich der Risiken an Leib und Leben bewusst ist und trotzdem springen, bzw. fallen will. Bei wenigen Fragen komme ich ins Schwitzen, denn ich kann sie nicht genau übersetzen und weiß nicht, ob ich Ja oder Nein ankreuzen soll. Aber Roy ist hilfsbereit und erklärt mir worum es geht. Und da ich nicht noch schnell vorher eine extra Versicherung abschließen will, darf ich auch mal No angeben.
Nach dem ganzen Schreibkram (auch hier muss Jürgen mit unterzeichner für den Fall das er Witwer wird – echt makaber) geht’s ans bezahlen und dann an das Outfit. Die Jeans bräuchte ich nicht, klärt mich die Französin auf, aber ich soll besser andere Schuhe anziehen statt der Flip Flops. Ist schon klar, auf die Idee bin ich schon selber gekommen.
Und dann geht es raus in die Halle zur Einweisung durch meinen „Flugbegleiter“. Ein netter junger Mann namens Zak. Er erklärt mir anhand von Fotos was ich zu tun und zu lassen hätte. Und dann hilft er mir hingebungsvoll beim anziehen des „Geschirrs“ – kommt mir vor, als würde ich gleich vor einen Karren gespannt. Hat ja auch was davon, nur ist mein Karren ein lebendiger Mensch. Beim anziehen kniet er teilweise vor mir und Jürgen kann sich natürlich eine dumme Bemerkung nicht verkneifen. Aber ich lache nur und genieße den Augenblick.
Inzwischen ist mein Flugzeug „vorgefahren“, Zak wirft sich auch in seine Ausrüstung und hantiert schon mit der Videokamera, die dieses ganze Abenteuer festhalten wird. Er fragt mich ob ich aufgeregt sei und ich antworte: Ja ein bisschen. Dann will er wissen, ob ich nervös und ängstlich wäre, aber das kann ich ehrlich verneinen, denn wenn es so wäre, dann stünde ich hier jetzt nicht. Ein kurzer Abschied von Jürgen und wir klettern ins Flugzeug.
Das ist echt ein klitzekleines Ding, ich sitze vorn auf dem Boden neben dem Piloten, allerdings mit dem Rücken nach vorn. Zak setzt sich mit dem Rücken zum Sitz des Piloten und macht mich mit einem Sicherheitsgurt fest.
Links neben mir ist die Tür, sie ist nur angelehnt und klappert im Wind.
Offensichtlich prüft der Pilot noch einmal die Motoren auf ihre Leistung, dann fahren wir los. Über die Wiese, die auch als Rollfeld genutzt wird. Es ist schon ein bisschen rumpelig, aber absolut erträglich. Unten links an der Tür fehlt ein Stück, da kann ich rauslauern. Wenn ich mich recke, dann geht aber auch ein Blick durchs Fenster der Tür. Zak verriegelt jetzt die Tür und fragt noch einmal, ob ich das wirklich will, ja klar will ich! Das Flugzeug wendet und gibt Stoff – und wir heben ab. Ich grinse schon wieder über beide Backen, denn fliegen ist sooooo schön. Und wenn man so nah dran ist an dem weiten Ausguck (und nicht nur ein kleines rundes Kabinenfenster) und der kühle Wind durch die Haare weht – dann ist es am schönsten.
Ich verliere Zeit- und Raumgefühl, eine Unterhaltung ist auch sehr schwierig, denn die Propeller sind recht laut. Zak fragt mich noch irgendwas (habe ich vergessen, aber ich glaube es ging um ein paar letzte Grußworte zu meinen Lieben auf der Erde) und zeigt mir, dass wir die Hälfte der Höhe erreicht haben. Ich staune nicht schlecht, denn unter uns sehe ich kleine Schönwetterwölkchen und das Lied von Reinhard Mey fällt mir wieder ein. Mich kann in dem Lärm eh keiner hören, also singe ich auch den Refrain lauthals – Freiheitsgefühl pur.
Und dann wird es richtig spannend. Zak befestigt die Videocam an seinem linken Handgelenk und ich muss eine 180 Grad Kehrtwende machen und auf den Knien hocken bleiben, damit er mich an sich befestigen kann. Dann schaut er ein paar Mal nach rechts und links aus dem Fenster und gibt dem Piloten einen Wink, dass er noch ein bisschen weiter fliegen soll. Als dann Zak der Standort (eher Flugort) gefällt, gibt er dem Piloten das Okay-Zeichen und öffnet die Türe. Sie klappt nach oben und wird auch dort vom Druck des Windes gehalten. Ich fasse mit der rechten Hand eine Schlaufe oben links an der Öffnung und nachdem Zak seinen rechten Fuß nach draußen auf einen eigens dafür angebrachten Ausleger gestellt hat folgt auch mein rechter Fuß. Nun sitzen wir schon halb draußen und der Fahrtwind peitsch laut und kalt an mein Gesicht. Noch ein letztes Okay von mir und wir fallen seitlich nach rechts unten aus dem Flugzeug. Es ist so geil!
Zu Beginn muss ich die Arme nach vorn halten (ich halte meine Gurte fest wie ein Angeber seine Hosenträger), aber schon nach wenigen Augenblicken tippt mir Zak auf die Schulter und das ist das verabredete Zeichen zum ausbreiten der Arme. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl! Man spürt die Erdanziehungskraft, die ja schließlich diesen hammergeilen Fall erzeugt, aber gleichzeitig spürt man, wie die Luft einen trägt – wie ein hartes Polster. Über den Wolken ist es so frisch, so klar – ich bin in diesem Augenblick sicher einer der glücklichsten Menschen auf diesem Planeten.
Nach knapp einer Minute zieht Zak den Fallschirm und mit einem Ruck geht es zunächst nach oben und dann aus der waagerechten in die senkrechte Körperhaltung. Zak lockert die Gurte an den Oberschenkeln etwas und ich kann mich fast wie auf eine Schaukel in die Gurte setzen. Dann lockert er auch den Gurt unter der Brust, aber das ist nicht so einfach, denn mein T-Shirt ist ganz hoch gerutscht und lässt mein Bäuchlein (gnädig bezeichnet) auch mal die kühle Luft kosten. Ich habe Glück gehabt, hätte auch ein „Oben Ohne“ -Absprung werden können, so wie man ja gern auch beim Sprung ins Wasser das Bikinioberteil verliert. Aber ist ja noch mal gut gegangen.
Und so gleiten wir jetzt in der Stille des gemächlichen Segelns am Fallschirm zurück zur Erde. Mein Mund ist vom Flugwind ganz ausgetrocknet (warum habe ich ihn auch die ganze Zeit die Klappe so weit aufgerissen und immer wieder „Wow“ geschrien), jetzt muss ich erstmal etwas Spucke sammeln um überhaupt wieder einen Kommentar abzugeben. Und meine Begeisterung hält nach wie vor an, denn die Welt von oben sieht so friedlich aus. Unter uns taucht das Flugfeld auf und ich kann Jürgen ganz klitzeklein an seinem weißen T-Shirt erkennen.
Die Landung kann „sitzend“ oder „laufend“ stattfinden, hängt von der Geschwindigkeit ab, mit der man runterkommt. Wir haben beide Varianten besprochen und geprobt, aber es wird eine „Sitzlandung“. „Legs up“ – ruft Zak nämlich und dann rutschen wir auch schon auf dem Hosenboden wie bei einer Schlittenfahrt über das Gras. Ich liege der Länge nach auf Zak und lache und bin glücklich. Die Französin reicht mir die Hand zum auf die Beine kommen und hilft mir aus den Gurten. Jürgen kommt auch dazu und ich falle ihm um den Hals, weil er mir dieses unbeschreiblich schöne Abenteuer vergönnt hat.
Wir gehen alle gemeinsam zum Hangar zurück und ich falle zunächst erst mal ganz entspannt in ein bequemes Sofa.
Die Französin überreicht mir Papiere (ein Zertifikat vom Sprung und ein bisschen Werbung) und ich kann mir jetzt überlegen, ob ich zum Sonderpreis von 99 Dollar gleich heute noch einen Sprung machen möchte. Aber ich möchte nicht, ich möchte diesen Sprung von gerade einfach erst mal „sacken“ lassen und nicht sofort noch mal los. Ich möchte noch einmal springen, das ist klar, aber nicht sofort. Nächstes Jahr sind wir ja wieder hier, da komme ich dann garantiert wieder.
Die Französin fragt uns noch, ob wir die DVD vom Sprung abholen wollten oder ob sie per Post raus sollte. Und dann fragt sie, wo wir hier wohnen und wie es der Zufall will wohnt sie auch ganz hier in der Nähe des Chiquita Blvd. Und so verabreden wir uns für Montag, da treffen wir uns dann und bekommen die DVD von ihr persönlich ausgehändigt.
Dann nehme ich Abschied von der netten Crew dort und wir begeben uns auf den Rückweg. Die Navi sagt uns wieder höchst unfreundlich wo wir lang müssen und ich horche auf, als sie plötzlich nicht nur das Abbiegen angibt, sondern auch noch die Richtung. Nach Naples nämlich, aber sie sagt N-A-P-L-E-S – sie spricht es deutsch aus. Später kommt auch noch F-T-Mürs, da haben Jürgen und ich schallend gelacht. Und ich habe Jürgen gebeten wieder die andere nette Stimme einzustellen, die hier ist mir echt zu dämlich. Und den Rest des Weges haben wir sie dann abgeschaltet – wir kennen ihn ja.
Zuhause angekommen habe ich erstmal den Rest meiner Pizza verdrückt. Und dann haben wir nur noch ganz entspannt am Pool gelegen. Ich bin im Geiste noch mehrmals gesprungen und darüber auch mal eingeschlafen.
Auch der Abend verging ganz unspektakulär. Das ist wirklich Urlaub!